Pflichtverteidigung

Der Begriff der Pflichtverteidigung wird in der Bevölkerung oftmals falsch interpretiert. Es wird davon ausgegangen, dass Pflichtverteidiger nur solche Rechtsanwälte sind, denen von Gerichten die Mandanten geradezu angetragen werden.

Die Pflichtverteidigung bezeichnet jedoch vielmehr allgemein die Fälle, in denen Sie ohne einen Rechtsanwalt gar nicht vor Gericht auftreten können.

Wann dies der Fall ist, ist in § 140 StPO geregelt:

(1) Die Mitwirkung eines Verteidigers ist notwendig, wenn
1. die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht oder dem Landgericht stattfindet;
2. dem Beschuldigten ein Verbrechen zur Last gelegt wird;
3. das Verfahren zu einem Berufsverbot führen kann;
4. gegen einen Beschuldigten Untersuchungshaft nach den §§ 112, 112a oder einstweilige Unterbringung nach § 126a oder § 275a Abs. 5 vollstreckt wird;
5. der Beschuldigte sich mindestens drei Monate auf Grund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in einer Anstalt befunden hat und nicht mindestens zwei Wochen vor Beginn der Hauptverhandlung entlassen wird;
6. zur Vorbereitung eines Gutachtens über den psychischen Zustand des Beschuldigten seine Unterbringung nach § 81 in Frage kommt;
7. ein Sicherungsverfahren durchgeführt wird;
8. der bisherige Verteidiger durch eine Entscheidung von der Mitwirkung in dem Verfahren ausgeschlossen ist.

(2) In anderen Fällen bestellt der Vorsitzende auf Antrag oder von Amts wegen einen Verteidiger, wenn wegen der Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann – namentlich, weil dem Verletzten nach den §§ 397a und 406g Abs. 3 und 4 ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist. Dem Antrag eines hör- oder sprachbehinderten Beschuldigten ist zu entsprechen.

Bei Erhalt der Anklageschrift werden Sie regelmäßig aufgefordert, sofern ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt, einen Verteidiger zu benennen. Dieser wird Ihnen sodann als (Wahl-)Pflichtverteidiger beigeordnet werden. Benennen Sie keinen Rechtsanwalt, wird Ihnen in den Fällen der notwendigen Verteidigung ein Rechtsanwalt nach Wahl des Gerichts als (Zwangs-)Pflichtverteidiger beigeordnet. Selbiges gilt seit dem 01.01.2010 für den Fall, dass gegen Sie die Untersuchungshaft vollstreckt wird.

Normalerweise ist es so, dass es bei jedem Gericht eine Liste von Rechtsanwälten gibt, die sich bereit erklären, allgemein Pflichtverteidigungen zu übernehmen. Aus dieser Liste soll sodann ein Rechtsanwalt ausgewählt werden.

Diese Praxis wird von vielen Gerichten jedoch nicht immer befolgt. So kommt es oftmals nicht zu einer gerechten Auswahl, sondern zu einer Beiordnung von einigen wenigen Rechtsanwälten. Die Gefahr bei solchen „Berufspflichtverteidigern“ ist jedoch, dass die Gefahr der ,,Beiordnungsprostitution“ latent ist. Es kann – und das liegt auf der Hand – nicht ausgeschlossen werden, dass diese Rechtsanwälte in einem Prozess dem Gericht wenig entgegensetzen werden, um weiterhin Pflichtverteidigungen zu bekommen.

Insofern ist es wichtig, dass Sie sofort nach Erhalt der Anklageschrift den Anwalt Ihres Vertrauens kontaktieren, damit Sie keinen ,,Zwangspflichtverteidiger“ bzw. ,,Berufspflichtverteidiger“ beigeordnet bekommen.

Auch die Rechtsanwälte unserer Kanzlei übernehmen für Sie die Verteidigung im Rahmen von (Wahl-)Pflichtverteidigungen. Dies bedeutet, dass die anwaltlichen Gebühren zunächst von der Staatskasse übernommen werden.

Eine Pflichtverteidigung ist im Übrigen unabhängig von den wirtschaftlichen Verhältnissen eines Angeklagten – ein „Armenrecht“ oder Prozesskostenhilfe gibt es diesbezüglich nicht.

Text: RA Martin Voß, LL.M.


Hauptmenü